Celebration
Day
Rudolf Maresch 24.09.1999
Das ORF, die Wirtschaft und ihr "Eigentum"
Es war der Tag, an dem die Schmach von Valencia
getilgt werden sollte, das 0 : 9 der österreichischen Fußballnationalmannschaft
gegen die spanische. Ö 3 erinnerte mich an dieses Debakel, als ich
gen Linz fuhr. Es lieferte - unterbrochen von den besten "Hits aus den
letzten zwanzig Jahren" - News zur Mannschaftsaufstellung, Statements zu
Taktik, Motivation und Fitness der Spieler, Interviews mit Spielern und
Trainern über den möglichen Spielausgang.
An diesem Tag feierte auch die Ars
Electronica ihr zwanzigjähriges Bestehen. Und das mit Recht. Kaum
eine Veranstaltung hat in den letzten beiden Dekaden die Evolution von
Elektronik und Technologie so aufmerksam begleitet, ihre Auswirkungen auf
Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur so umfassend kommentiert und reflektiert
wie sie. Zumindest in Alteuropa. Wer nach Linz kam, fand dort ein ausgesprochenes
Gespür für die neuesten wissenschaftlichen Moden und Trends,
die bereits in die Gesellschaft diffundiert waren oder bald dort ankamen.
Die Leitung des Festivals schaffte es, nicht nur die widerstreitenden
gesellschaftlichen Gruppen und Interessen, Industrie, Subkultur und Wissenschaft
an einen Tisch zu bringen, sie mühte sich auch lange Jahre erfolgreich
um eine Antwort auf die Frage: Was ist Avantgarde? Wenigstens, solange
Peter Weibel in Linz das Zepter schwang, über die Auswahl der Themen
und Gegenstände bestimmte und dem Linzer Treffen eine hegemoniale
Bedeutung verpasste. Von "Vernetzten Systemen", "Virtual Realities" und
"Endophysik", von "Artificial Life", "Nanotechnologie" oder "Infowar" erfuhr
eine breitere Öffentlichkeit erst, weil Linz sich ihrer annahm - und
das erfreulicher- und angenehmerweise frei von ideologischen Scheuklappen
oder deutscher Bedenkenträgerei. Zwar hinkten die Veranstalter dem
Diskurs mitunter hinterher. So wurde die Entwicklung und revolutionäre
Bedeutung des Internets für die globale Gesellschaft fast verschlafen,
oder das eine oder andere Thema in den Sand gesetzt, weil das Publikum
mit der Gedankenwelt Peter Weibels überfordert war.
Trotzdem wirkte die Ars Electronica in all den Jahren meist trend- oder
agendasetzend. Gab Intel im Halbleiterbereich Takt und Rhythmus der technischen
Evolution an, bestimmte Linz über Ziele, Inhalt und Richtung des Mediendiskurses.
Auch das Headhunting funktionierte meist vorzüglich. Ob Baudrillard
oder Virilio, Lanier, Gibson oder Leary, Kittler, Dawkins oder Haraway
- keiner, der in den letzten Jahren mit markigen Sprüchen oder bedenkenswerten
Texten im High Tech-oder Bio-Bereich Prominenz erworben hatte, zierte sich,
als es für ihn hieß, die Landkarte zu studieren und in die oberösterreichische
Provinz zu reisen.
In der Sonne des Erfolges
Dieser Erfolg der Ars Electronica ist bemerkenswert, gewiss - und in
Zentraleuropa ohne Beispiel. Grund genug also, sie hoch leben zu lassen
und eine Geburtstagsfete zu veranstalten, die sich gewaschen hat. Doch
nicht die Veranstalter, die künstlerische Leitung feierten, wie man
meinen sollte. Oder das juvenile Publikum, das Jahr für Jahr ins schmucke
Donaustädtchen einfällt, das betuliche Treiben ihrer Bewohner
stört und dem Stadtbild eine grau-schwarze Grundtönung verleiht.
Das hatte man in die Nacht verschoben, ins Peter Behrens Haus, das Linzer
Studenten tags zuvor noch schnell für die Partygäste leer geräumt
hatten.
Wer zunächst feierte, und das im gleisenden Licht der Kameras,
waren das ORF und Dr. Leopoldseder, Moderator, Förderer und Ideengeber.
Er genoss es sichtlich, sich im Licht der Kameras zu sonnen, den Erfolg
seiner Idee von allen beklatscht zu sehen. Diese war Ende der 70er Jahre
entstanden, als die Region von der Stahlkrise heimgesucht wurde und der
ORF-Mann nach einem Spektakel Ausschau hielt, das die Stadt Linz aus der
Depression führen, ihr ein unnachahmliches Markenzeichen geben und
sie von anderen Regionen, von Salzburg und Wien etwa, unterscheiden sollte.
Es fällt schwer, ihm da nicht einen gewissen Weitblick zuzubilligen,
als er auf den High Tech-Bereich verfiel und Mitstreiter fand, die in der
Vermengung von Technologie, Wissenschaft und Kunst mit einem Kulturprogramm
für die Linzer Bevölkerung ein lohnendes Projekt entdeckten.
Für diesen Celebration Day hatte der ORF den mittleren Saal des
Brucknerhauses in ein Fernsehstudio verwandelt, das Publikum als Bühnenkulisse
drapiert. Eine Gratulationscour im Schnelldurchlauf sollte es wohl werden,
eine Talkrunde mit Protagonisten und ehemaligen Weggefährten. Programm
und Anordnung des Raumes ließen darauf schließen. Kleine runde
Tischchen, mit viel Gestühl drumrum und Mineralwasserfläschchen
obendrauf, umsäumten die Bühne, die ein Halbkreis aus Ledersesseln
zierte. Drei große Fernsehkameras standen bereit, das Geschehen auf
der Bühne zu verfolgen und aufzuzeichnen. Dr. Leopoldseder höchstselbst
ließ es sich nicht nehmen, mit Dr. Schröpf, seiner Ko-Partnerin
über die Jahre, das Publikum durch die ereignishafte Geschichte der
ARS zu führen. In drei Gesprächsrunden gedachten sie, angespannt,
aber in gespielter Lockerheit, zusammen mit ihren Gästen den einzelnen
Entwicklungsstadien der Ars Electronica: dem sechs Jahre währenden
Aufbruch, der zehnjährigen Regentschaft Peter Weibels und dem Ausverkauf
des Festivals an ORF und Industrie.
Amüsant war diese Schnäppchentour aus Videoclips und Small
Talk schon. Die Performances von Kraftwerk und Peter Gabriel, Club Voltaire
oder Stelarc, die Lärm- und Feuerspektakel, die im Donaupark oder
in ausrangierten Hallen der Voest-Alpine-Werke veranstaltet wurden, die
Videoskultpuren Num June Paiks noch mal Revue passieren zu lassen. Das
muss man zugeben. Amüsant war es auch, die Gründerväter,
Pioniere und Protestler der ARS, Wissenschaftler, Künstler und Kuratoren,
auf der Bühne versammelt zu sehen, wie sie sich brav der unsichtbaren
Regie des ORF unterwarfen, ein zweiminütiges Statement zu ihren Motiven
oder Zielen abgaben, ab und an ein Anektödchen erzählten, ansonsten
aber nur da- oder herumsaßen als Staffage des ORF, um etliche Jährchen
gealtert, ernüchtert und desillusioniert. Herbert W. Franke etwa,
dem es seinerzeit darum ging, die materiellen Bedingungen der Technik mit
den kreativen Seiten ihrer Möglichkeiten zu verbinden. Oder Otto Piene,
der vom Vordringen in den elektronischen Raum sich einen neuen Quantensprung
erwartete. Oder Eduard Bannwart, der dem AEC, dem heutigen Aushängeschild
des Festivals, sein architektonisches Gesicht verpasste.
Misstöne ausgeschlossen
Klartext war unter diesen Umständen von den Teilnehmern nicht zu
erwarten, auch keine inhaltliche Auseinandersetzung über die eingeschlagenen
Pfade und künftigen Wege und Ziele des Festivals. Obwohl es hinreichend
Grund für harte Worte gegeben hätte, Zäsuren Zeit zur Besinnung
und Einkehr Anlass geben, wollte man davon nichts wissen, weil das ORF
davon nichts wissen wollte. Das Medium hatte Feiertagsstimmung verordnet,
Friedhofsruhe, und nicht Knatsch.
So klopfte man sich gegenseitig auf die Schultern, verbreitete gute
Laune und beweihräucherte sich, wo immer es ging. Sogar Peter Weibel
hielt sich an diese Vorgaben. Auch er vermied es, den Miesepeterich zu
spielen. Obschon gelegentlich listig lächelnd, wenn ein Reizwort fiel,
oder gar Gerfried Stocker zu seiner Amtszeit befragt wurde, unterließ
er es tunlichst, die verordnete Harmonie der ORF-Gemeinde zu stören
und das gescreente Bild der Veranstaltung mit Misstönen zu unterlegen.
Dabei hätte gerade er, dem der Streit mit dem ORF vor einigen Jahren
den Posten des künstlerischen Leiters gekostet hatte, manches kritische
Wort loswerden können. Etwa darüber, wie sich das Einwegmedium
über all die Jahre in seine Arbeit einzumischen versuchte, und zum
Dank, weil das seinerzeit nicht so recht gelang, den Prix Ars Eletronica
im Fernsehen präsentieren durfte. (Wie steif, hölzern und dilettantisch
diese Ehrung bis auf den heutigen Tag durchgeführt wird, und wie die
Preisträger inzwischen als Pappfigurenkabinett für die Sponsorenschaft
missbraucht werden, konnte der Beobachter auf 3SAT am Abend live miterleben.)
Oder als der Bau des Ars Electronica Centers die Bestallung eines Geschäftsführers
notwendig machte und dies der Stadt Linz und dem ORF eine willkommene Gelegenheit
bot, den unbequemen Weibel loszuwerden und den Posten mit einem jüngeren,
willfährigen und weniger kantig und sperrig operierenden Kunstmanager
zu besetzen.
Eine solche Einkehr und Selbstvergewisserung hätte der Veranstaltung
sicher gut getan, die Zäsur eine willkommene Gelegenheit dazu geboten.
Daran war aber keiner interessiert. Niemand sprach über Querelen;
niemand tippte die unverhohlene Einflussnahme der Wirtschaft auf Themenstellung,
Preisvergabe und Form des Festivals an; niemand fiel auf, dass das Festival
mittlerweile selbstbezüglich operiert: der Großteil des Publikums
besteht aus Experten und Pressevertretern, weswegen von einer "Kultur für
alle" nicht die Rede sein kann; niemand mahnte an, dass es der Medienkunst
bis auf den heutigen Tag nicht gelungen ist, trotz vollmundiger Ankündigung
wirklich substantiell Neues zu schaffen; und niemand störte es offenbar,
dass immer wieder die gleichen Medienkünstler eingeladen werden und
die Preisvergabe unter sich ausmachen.
Wechsel ist das Normale, nicht
die Ausnahme
Gewiss, jede Zeit, Gesellschaft oder Generation erzählt ihre Geschichte,
neu oder anders. Vor allem dann, wenn sie einem beschleunigten Wandel ausgesetzt
sind und ständig Zeugnis von dieser Evolution ablegen. Was vor zehn
oder zwanzig Jahren in war, ist heute out. Ausdruck dieses Zeitenwandels
ist der Wechsel: die Ablösung der Alten, die Herrschaft der Jungen.
Mit ihr schwinden zugleich Traditionen und alte Selbstgewissheiten. Andere
Themen und Mentalitäten bestellen das Feld. Vor allem eine Veranstaltung
wie die Ars Electronica lebt davon, eine Veranstaltung, die sich einst
ausnahmslos dem Aufspüren des Neuen und noch Unbekannten verschrieben
hatte. Seitdem sich die Industrie zur Speerspitze des Neuen erklärt
hat, ist der Avantgardismus keine Sache von Künstlern oder Gruppen
mehr. Nicht in den Ateliers oder Schreibstuben, in den Forschungslabors
finden alle jene Visionen und Utopien ihre Heimat und Anwendung. Sie erfahren
dort ihre Realisierung, paaren sich mit Marktinteressen und Nutzenkalkül.
Dies spiegelt sich in der Berufung Gerfried Stockers zum künstlerischen
Leiter wider. Seither geht es in Linz eher um die Analyse jener Konfliktzonen,
die an den Nahtstellen von Technologie und Kultur entstehen, die Gesellschaft
umwälzen und sie zur globalen Gesellschaft umformen. Oder es geht
um Fragen der Nachhaltigkeit, um das Einklagen von Verantwortlichkeiten
im Umgang mit den neuen Bio- und Medientechnologien, um das Kenntlich-
und Öffentlichmachen jener Folgen und Effekte also, die die digitale
Revolution gesellschaftlich und kulturell hervorruft oder auslöst.
Dafür bietet die Ars Electronica der Medienöffentlichkeit ein
ständiges Forum und Interface. Für Subkulturen, Avantgarden und
Protestler ist da kaum noch Platz.
Und es ward doch noch Klartext
Und dennoch gab es abseits des Brucknerhauses, wo wieder mal nur die
bekannten Pros und Kons zur Bio- und Gentechnologie ausgetauscht wurden,
der Geist Michel Foucaults (Bio-Macht) unerklärlicherweise abwesend,
dafür den Beschwörungen und Unheilssemantiken Jeremy Rifkins
breiter Raum eingeräumt worden war, doch noch Klartext. Und zwar im
Loft des AECs. Novartis, derzeit neben Monsanto führender LifeScience-Akteur
auf dem Weltmarkt, hatte zum Pressegespräch geladen. Dort erläuterte
der Schweizer Konzern den Medienvertretern sein längerfristiges Engagment
für die Linzer Veranstaltung.
Man hoffe, so die Manager, mit der Patenschaft den Begriff "LifeScience"
bekannter zu machen und zugleich die gesellschaftliche Akzeptanz für
Biotechniken zu erhöhen. Demgegenüber erklärte Gerfried
Stocker, dass man im Gegenzug von Novartis die Öffnung seiner Forschungslabors
für Medienkünstler erwarte. Setzt das Künstler in die Lage,
auf den Tastaturen der neuesten Systeme und Maschinen zu spielen, findet
Novartis in Linz alles, was ein Bio-Konzern braucht, aber auf dem öffentlichen
Markt nur schwerlich bekommt: nämlich Kreativität. Und die ist
bekanntlich dünn gesät, auch wenn alle Welt von ihr spricht und
sie einfordert, aber besonders gefragt, wenn es um Formen und Ästhetik,
das künftige Design von Pflanzen, Tieren und Menschen geht, um Makellosigkeit,
Gesundheit und Intelligenz.
Diese Klarheit der Sprache wurde später nur noch von der Meldung
übertroffen, derzufolge im nächsten Jahr nicht weiter entlang
der Biowissenschaften debattiert werden soll, und zwar entgegen der Ankündigung
von Novartis und Stocker. Microsoft und Siemens und andere Großunternehmen
des High Tech-Sektors hätten anderes im Sinn. Diese Mächte hätten
nicht nur Druck auf einzelne Jurymitglieder ausgeübt, damit Linus
Torwald und Linux den für die Industrie wichtigsten Preis, den Linz
zu vergeben hat, erhalte, sie wären vor Wochen bereits überein
gekommen, dass nächstes Jahr über "OpenSource" geredet werde.
Sollte diese Meldung mehr als ein böser Scherz gewesen sein, wie
vermutet wurde - tatsächlich halten sich ja seit Monaten Gerüchte
in der Branche, die über ein unfriendly take-over des Feindes spekulieren
-, dann käme Linz mit dieser Thematik reichlich spät. Wieder
mal. Andernorts war man nämlich schneller - zum Leidwesen der Linzer.
Das abrupte und unerwartete Interesse für offene Systeme würde
aber einiges erklären. Nicht nur die überraschende Sponsorschaft
von Siemens für Linux. Auch die schleichende Entmachtung der künstlerischen
Leitung. Was einst als Implementierung der 68er Protestkultur in den Elektronikbereich
(Video, Grafik, Musik) begann, wäre endgültig zum Spielball von
Lobbyisten und globaler Konzerninteressen verkommen. Was in Linz künftig
geschehe, worüber dort verhandelt werde, entschieden die Sponsoren
und das ORF.
Auf dem Nachhauseweg erfuhr ich von der 1 : 3 Niederlage der österreichischen
Fußballer im Radio. Die Presse wertete diese Niederlage tags drauf
als Sieg. Die Nationalmannschaft habe, so war zu lesen, einen "Sieg für
die Zukunft" errungen. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte
plötzlich die Antwort auf das, was ich in Linz die zwei Tage gesucht,
aber irgendwie nicht gefunden hatte. Ach Österreich.